> Forschungsprojekt „Internetökonomie und Hybridität – Wettbewerbsrecht und -politik“

Im Rahmen des Teilprojektes Wettbewerbsrecht und –politik sollen die Bedingungen ermittelt werden, die aus rechtlicher wie auch aus ökonomischer Sicht an zukunftsorientierte kartellrechtliche Wettbewerbsregeln für die Internetökonomie nebst deren hybriden Organisations- und Nutzungsformen zu stellen sind. In enger Zusammenarbeit zwischen Volkswirten und Juristen werden die derzeit bestehenden hybriden Strukturen und Nutzungsformen der Internetökonomie unter wettbewerbsrechtlichen Gesichtspunkten und aus ökonomischer Sicht analysiert. Ergänzend zur Analyse des insoweit für Deutschland maßgeblichen nationalen und europäischen Rechts werden im Wege einer Rechtsvergleichung die auf die Internetökonomie bezogenen regulatorischen Ansätze insb. im US-Amerikanischen Wettbewerbsrecht untersucht und auf ihre Übertragbarkeit ins Deutsche Recht hin überprüft. Als Ergebnis des Forschungsprojektes sind juristisch und ökonomisch fundierte Bedingungen für pfadoffene Wettbewerbsregelungen zu benennen, die den Anforderungen der Internetökonomie genügen.

Seit Ende 2003 arbeitet das ITM an einem interdisziplinären Projekt zu wettbewerbsrechtlichen und -politischen Fragen der Internetökonomie. Dieses Projekt wird vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung gefördert und befasst sich vor allem mit Gesichtspunkten der Hybridität von Online- und Offline-Welt. Beteiligt an dem Projekt sind Wissenschaftler des rechtswissenschaftlichen Instituts für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht sowie das wirtschaftswissenschaftliche Institut für Anlagen und Systemtechnologien.

Bisher haben sich u.a. folgende Ergebnisse aus unserer Forschungstätigkeit ergeben:

1.         Die Anforderung räumlicher Marktabgrenzungen für kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht und Fusionskontrolle kollidiert mit der Ubiquität des Internet. Die Grenzen räumlicher Märkte in der realen Welt – regionale, nationale oder globale Ausrichtung – bilden sich nicht in der a-territorialen, durch technische Einrichtungen punktuell hergestellten Virtualität ab. Eine Abgrenzung von Märkten muss unterscheiden zwischen den reinen Online-Produkten, bei denen eine Materialisierung nicht erfolgt, und den hybriden Produkten, die zwar online gehandelt werden können, aber nur offline existieren. Für erstere ist eine auf territoriale Merkmale abzielende räumliche Marktabgrenzung nicht möglich. Dies gilt nicht nur für nicht vorhandene Barrieren wie Transportkosten oder Zölle, sondern weitgehend auch für Sprachen. Online-Produkte ohne Sprachbindung oder in Weltsprachen haben originär eine globale Nachfrage, bei anderen Online-Produkten ist die Nachfrage regelmäßig zwar zentralisiert, nicht aber tatsächlich auf nationale Grenzen beschränkt. Bei hybriden Produkten ist noch zu klären, ob die Ausweitung der Geschäftstätigkeit in die Virtualität eine globale Konkurrenzsituation zur Folge hat. In jedem Fall bedarf es einer Neuausrichtung der räumlichen Marktabgrenzung.

2.         Die Anwendung der essential-facilities-Doktrin auf Internet-Sachverhalte in Deutschland und Europa ist weiterhin nicht abschließend geklärt. Problematisch ist insbesondere die Regulierung der Entgeltansprüche des Inhabers von Infrastrukturen; diese dürfen nicht dazu genutzt werden, Zugangsansprüche Dritter zu verhindern. Hier sollte ein Pionierschutz für die Einrichtung technischer Infrastrukturen vorgesehen werden, der allerdings zeitlich begrenzt ist (Bsp. 5 Jahre bei aufgebauten Netzen und Infrastrukturen).

3.         Mit einem ähnlichen Modell könnte auch die nach der IMS-Health-Entscheidung weiterhin schwierige Frage des Zugangs zu Immaterialgüterrechten adäquat gelöst werden. Die zeitliche Begrenzung der rechtlichen Monopole aus Immaterialgüterrechten kann alleine die Balance zwischen dem Schöpferschutz und der ökonomischen Bedeutung von Immaterialgütern in einer vernetzten Welt gerecht werden.

4.         Die Kompatibilität technischer Einrichtungen ermöglicht eine Standardisierung durch den ersten Hersteller einer Einrichtung. Präzedenzfall für die Ausnutzung einer De-facto-Standardisierung auf dem Softwaremarkt ist die Verhängung einer Geldstrafe durch die EU-Kommission im Microsoft-Fall wegen wettbewerbswidrigen Verhaltens. Gegenwärtig ist die Bildung der Trusted Computing Group durch die größten Hersteller von Internet-Technologien eine entsprechende Gefahr der oligopolistischen Marktbeherrschung durch Standardisierung. Die geplante Standardisierung muss für alternative Softwarestandards aber offen bleiben, insbesondere Open Source-Software. An diesem Punkt begleiten wir die Diskussion.

5.         Die Entscheidungen zu der gescheiterten Medienfusion Springer Verlag/ProSiebenSat.1 legen die Probleme des ungelösten Verhältnisses von Online- und Offline-Medien offen. Eine Übertragung der Meinungsmacht bei hybriden Medienfusionen zwischen verschiedenen Medienmärkten führt insbesondere bei Online-Medien zu Marktanteilsverschiebungen. Hier haben sich viele Medienanbieter etabliert, die ausschließlich im Online-Bereich tätig sind, hier aber eine marktstarke Stellung erworben haben. Das alleinige Angebot von Online-Medienangeboten würde im Zuge der genannten Entscheidungen nur geringfügige Meinungsmacht und Marktanteile bedeuten. Wir gestalten klare Leitlinien für eine gegenseitige Meinungsmachtübertragung zwischen On- und Offline-Medien. Aus unserer Sicht wäre zu überlegen, konsequenterweise zukünftig von einem einheitlichen Medienmarkt auszugehen. Zur Vereinheitlichung europäischen und deutschen Rechts befürworten wir eine Zentralisierung der Markt- und Meinungsmachtkontrolle auf eine Behörde.

6.         Der Abschluss von Geschäften zwischen Unternehmen über B2B-Plattformen öffnet die Frage nach der Zukunft des Geheimwettbewerbs. Positiv ist zwar insbesondere aus Verbrauchersicht die Steigerung der Markttransparenz durch die schnelle und einfache Abrufbarkeit der Marktkonditionen. Missbrauchspotenzial liegt vor allem in der Möglichkeit des Informationsaustausches. Diese Gefahr steigert sich noch außerhalb von B2B-Plattformen, da hier nicht durch vertragliche Vereinbarungen der Informationsaustausch beschränkt wird. Die Bildung hybrider Kartelle, bei denen der Online-Auftritt durch Transparenz das gegenseitige Offline-Wettbewerbsverhalten bestimmt, muss verhindert werden. Allerdings lässt die Pflicht zur Offenlegung von Schnittstelleninformationen in der Microsoft-Entscheidung den weiteren Schutz von Betriebsgeheimnissen fraglich erscheinen. An dieser Stelle erarbeiten wir einen Vorschlag.

7.         Bereits jetzt wird ein Durchgreifen der aktuellen Veränderungen auf die normativen Grundlagen und Leitbilder des Wettbewerbs und der Wettbewerbspolitik deutlich. Die verstärkte organisatorische Vernetzung von Unternehmungen, auch auf derselben Marktseite, bei Einkauf, F&E und in anderen Bereichen ist im Hinblick auf die Kartellproblematik mit einer Tendenz zur Neueinschätzung von Wettbewerb und  Kooperation – Stichwort coopetition – einhergegangen. Positiv sind hier verbesserte Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung zu sehen. Eine dauerhaft schlüssige Wettbewerbspolitik ist jedoch auf eine kohärente, über die Definition von immer mehr Ausnahmetatbeständen hinausgehende Klärung der konzeptionellen Grundlagen von Wettbewerb angewiesen, ohne dass diese bisher absehbar wäre. Zugleich hat der durch digitale Vernetzung und Kapitalmobilität verschärfte Standortwettbewerb zwischen Ländern und Regionen zu einer Einschränkung politischer Gestaltungsmöglichkeiten geführt. Vor diesem Hintergrund werden zunehmende ethische Verantwortung und Optionen der Selbstregulierung vor allem marktstarker Unternehmungen betont, ohne dass die konzeptionellen Grundlagen und praktischen Folgen einer solchen Strategie geklärt wären. Hier geht es unter anderem um die Neubestimmung des Verhältnisses von private governance und public governance in der digital vernetzten Ökonomie. Wir sind an der Diskussion mit eigenen Vorschlägen aktiv beteiligt.

8.         Die Adressierung im Internet und Vergabe von Domainnamen wird monopolistisch durch die ICANN bestimmt. In neuester Zeit versuchen sich aber alternative Adressierungsanbieter zu etablieren. Ihr Markteintritt kann durch Zugang zu den Infrastrukturen der ICANN erheblich erleichtert werden. Allerdings steht die essential-facilities-Doktrin hier vor einem Problem, soweit sie nicht in ihrer Anwendung geöffnet oder modifiziert wird. Gleichzeitig wird aber die Zwitterstellung der ICANN – einerseits Zentralstelle der gesamten wirtschaftlichen Domainnamenvergabe, andererseits technische Administration für das gesamte Internet – in einem eröffneten Markt der Domainnamenvergabe fraglich. Sinnvoll scheint daher eine Entflechtung der ICANN.

9.         Die führenden Unternehmen der Internetökonomie blockieren sich unternehmensstrategisch gegenseitig (Google gegen Microsoft) oder schließen sich in Allianzen gegeneinander zusammen (z.B. eBay und Yahoo gegen Google). Das Kartellrecht steht hier vor neuen Herausforderungen, weil diese Unternehmen klassischerweise nicht einem einheitlichen sachlichen Markt zugeordnet werden können. Die Funktionsfähigkeit der nach Branchen ausgerichteten sachlichen Marktabgrenzung wird für die zukünftige Gestaltung der Wettbewerbsverhältnisse zunehmende Bedeutung erlangen. Hier entwickeln wir neue Parameter.

– Publikationsliste –

Aufderheide, D., Hybridformen in der Internetökonomie (Gegenstand und Methode eines rechtswissenschaftlichen und institutionenökonomischen Forschungsprogramms), Arbeitsbericht Nr. 9 des Kompetenzzentrums Internetökonomie und Hybridität Münster, Münster 2004.

Aufderheide, D., Lindner, M., Zimmerlich, A., Internetökonomie, Wettbewerb und Hybridität bei Essential Facilities, in: Internetökonomie, Interdisziplinäre Beiträge zur Erklärung und Gestaltung hybrider Systeme, Hrsg.: H. L. Grob, J. vom Brocke, Vahlen, München, 2006, S. 129-156.

Beth, S., Rechtsprobleme proprietärer Standards in der Softwareindustrie, 2004.

Kaestner, J., Missbrauch von Immaterialgüterrechten. Europäische Rechtsprechung von Magill bis IMS Health, 2005.

Meyer, L., DRM und die Zukunft von Verwertungsgesellschaften im digitalen Zeitalter, in: Aktuelle Rechtsfragen von IT und Internet, Tagungsband DSRI Herbstakademie 2006, Taeger/Wiebe (Hrsg.), Oldenburg 2006

Meyer, L., Müller, U., Geheimwettbewerb in einer vernetzten Welt, voraussichtlich WuW 2/2007

Meyer, L., Utz, R., Internet revolution? – Alternate Root Models in the internet in the light of Antitrust and Trademark Law, voraussichtlich eipr 2007

Müller, U., Alternative Adressierungssysteme für das Internet – kartellrechtliche Probleme, MMR 7/2006.

Müller, U., Deutsches Medienkartellrecht – ein Scherbenhaufen?, MMR 2006.

Müller, U., Utz, R., Aufderheide, D., Meyer, L., Rodenhausen, A., Die Zukunft der Internetadressierung: ICANN, DNS und alternative Systeme – kartell- und markenrechtliche Fragen und ihr ökonomischer Hintergrund, Arbeitsbericht Nr. 42 des Kompetenzzentrums Internetökonomie und Hybridität Münster, Münster 2006.

Müller, U., Meyer, L., Unternehmenstransparenz und Geheimwettbewerb im digitalen Umfeld, Arbeitsbericht Nr. 43 des Kompetenzzentrums Internetökonomie und Hybridität Münster, Münster 2006.

Wolf, G., Kartellrechtliche Grenzen von Produktinnovationen – Lehren aus den Verfahren gegen IBM und Microsoft für die Anwendung des Kartellrechts in Hochtechnologiemärkten, 2004.

Zimmerlich, A., Marktmacht in dynamischen Märkten – Die Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes in Märkten der Internetökonomie, 2005.

Zimmerlich, A., Der Fall Microsoft – Herausforderungen für das Wettbewerbsrecht durch die Internetökonomie, WRP 2004, S. 1260-1272.

Zimmerlich, A., Müller, U., Entgeltberechnung bei Infrastrukturzugang (§ 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB), N&R 2006, S. 46ff.

Zimmerlich, A., Aufderheide D., Herausforderungen für das Wettbewerbsrecht durch die Internetökonomie, Arbeitsbericht Nr. 4 des Kompetenzzentrums Internetökonomie und Hybridität Münster, Münster 2004.

Zimmerlich, A., David, D., Veddern, M., Übersicht B2B-Marktplätze im Internet Branchenspezifische B2B-Marktplätze – empirische Erhebung, Arbeitsbericht Nr. 28 des Kompetenzzentrums Internetökonomie und Hybridität Münster, Münster 2005.